die Mühlenstraße
und ihre Geschichte(n)
Text // Klaus Deux
Eine facettenreiche und wechselvolle Geschichte hat ihre Spuren auch in den Straßenzügen der Stadt Cloppenburg hinterlassen. Mit der hiermit beginnenden Serie „Cloppenburger Straßen und ihre Geschichte(n)“, die sich in etwa mit dem Zeitraum von 1885 bis 1960 oder in Ausnahmen auch darüber befasst, werden Erinnerungen der älteren Bürger wachgerufen und den jüngeren Cloppenburgern zeigt sich, wie es hier früher einmal ausgesehen hat.





Aufgrund seiner Lage an den wichtigen Handelsstraßen von Süd nach Nord sowie von West nach Ost entwickelte Cloppenburg sich zu einem wirtschaftlichen Mittelpunkt der Region mit bedeutenden Geschäften, Märkten, Gasthäusern, Handwerksbetrieben und einem umfassenden Schulwesen. Erst 1855 wurde die Bauerschaft Krapendorf zu Cloppenburg eingemeindet. Diese Ausbreitung stellte einen unübersehbaren Fortschritt in der Entwicklung des Ortes dar. Die Bewohner der Häuser in dem nun vereinten Cloppenburg lebten in der früheren Zeit nicht allein von ihren Betrieben. So kann man etlichen alten Bildern entnehmen, dass sehr viele Häuser auch ein Dielentor hatten. Man betrieb eben auch im kleinen Nebenerwerb noch etwas Landwirtschaft und sprach deshalb von den „Cloppenburger Ackerbürgern“.
Die Mühlenstraße,
die älteste Straße der Stadt
Die Mühlenstraße erhielt ihren Namen von der ehemals nördlich der Soeste gelegenen Wassermühle. Wegen der auf der Straße abgehaltenen Viehmärkte wurde sie auch „Kälberstraße“ genannt, und war mit Kopfsteinen (Findlingen) gepflastert. Ein Trottoir, also einen Bürgersteig besaß diese Straße noch nicht. Dafür war das Straßenpflaster so angeordnet, dass etwa einen Meter von der Häuserfront entfernt, mit etwas Gefälle eine Grüppe (Rinne) entstand, durch die das Regenwasser aufgefangen wurde und zur Soestenbrücke
hinabfloss.
Kaum eine andere Straße hat ihr Bild in den letzten Jahrzehnten so stark verändert wie die Mühlenstraße. Mit dem Umbau der früheren Bundesstraßenabschnitte (B 72 und B 213) in der Innenstadt zur Fußgängerzone wurde die Mühlenstraße Bestandteil des Hauptein-kaufsbereiches. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch das Stadtbild prägenden giebelständigen Häuser sind inzwischen durch moderne Geschäftshäuser ersetzt worden. Sie wird sich nach vorliegenden Planungen in den nächsten Jahren sicherlich wieder zur schönen Geschäftsstraße entwickeln.
Im Vordergrund rechts, hatte die Richterfamilie Bothe ihre Besitzung auf dem Gelände der alten Vorburg, die ehemals Wohnung der Rentmeister gewesen war. Zum Ende des 19. Jahrhundert gelangte das Anwesen in das Eigentum des Bürgermeisters und Rechtsanwaltes Dr. Bernhard Heukamp. Die Gräfte (der Wassergraben) um den Besitz wurde 1912 mit Erde aufgefüllt. Heute steht hier die Stadthalle und „Brillen Framme“ ist seit 50 Jahren hier, in der Mühlenstraße 18, ansässig – wo in den alten Zeiten über die Gärten hinweg der Turm der St.-Josef-Kirche ragte.


Rechts befand sich das Manufakturwarengeschäft von Georg Willner, heute das sehr erfolgreiche Modehaus „Berssenbrügge“. Gegenüber, auf der westlichen Straßenseite, war das „Kaiserliche Postamt“, einst eines der größten Häuser in Cloppenburg, untergebracht. Malermeister Bernhard Baro hatte es für die Post errichtet, mit der Wohnung des Postmeisters im ersten Stockwerk. In den unteren Räumen hingegen waren die Telegrafie und die Telefonie – mit der Vermittlung an den Steckkästen – untergebracht, sowie der Schalterdienst und die Paketannahme.
Hinter dem Postgebäude lag der Hof mit den Stallungen für die Unterbringung der Postkutschen und Posthandkarren. Pferdepost- kutschwagen fuhren viermal täglich von der Post zum Bahnhof; die Postwagen nach Friesoythe, Emstek und Molbergen beförderten auch Personen. Die Post übermittelte ebenfalls die Wettervorhersage: In einem kleinen Glaskasten an der Außenwand des Gebäudes befand sich stets ein Telegramm aus Bremen mit der aktuellen Prognose. Ackerbürger konnten sich hier zum Beispiel wegen der bevorstehenden Ernte informieren.
Am Ende der Mühlenstraße befand sich das Manufakturwarengeschäft „Thambusch-Meyer“, das zu den größten Geschäften in Cloppenburg zählte. Im Haus Thambusch-Meyer, links neben der „Kleinen“ Kirche, gab es früher auch ein Restaurant mit einem kleinen Saal. Rechts sind das Geschäftshaus „Diekhaus“ und der „Glas- und Farbengroßhandel Bernhard Becker“ zu sehen.
Der vorherrschende Haustyp bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Giebelhaus mit Längsdiele oder Längsflur. Es wurde überwiegend aus Fachwerk und mit zweifach vorkragendem, oben holzverschaltem Steilgiebel errichtet. Das Haus Bruns, Mühlenstraße 51, verkörpert als ältestes Beispiel überlieferter bürgerlicher Baukultur den Stil des Ackerbürgerhauses. Dieses aus dem 17. Jahrhundert stammende Fachwerkhaus besitzt einen zweifach vorspringenden Knaggen-Giebel (1695). Anstelle der heutigen Schaufenster befanden sich links eine Utlucht (Auslucht, befensterter Vorsprung) mit Satteldach und rechts ein Einzelzimmer. Die Giebelhäuser der Ackerbürger hatten eine Längsdiele mit Kammern und Werkstatt im vorderen straßenseitigen Bereich. Küche und Stuben waren rückseitig angeordnet. Von der Straße zur Haustür war die Anhöhe mit sogenannten „Katzenköpfen“ gepflastert. Viele dieser typischen Stilelemente gingen im Wandel der Zeit unwiederbringlich verloren, was einen unschätzbaren Verlust für das Stadtbild darstellt.



Die alte hölzerne Soestenbrücke – die von deutschen Soldaten gesprengt wurde, aber den Einmarsch der alliierten Truppen nicht stoppen konnte – diente auch zum Stau des Soestenwasser, welches der Müller Kollhoff in der Wassermühle zum Mahlen des Kornes benötigte. Aber auch der Schmied Ripke benötigte für seine Schmiede und Hufbeschlag das Soestenwasser. Und die Cloppenburger Jugend war stets froh, wenn im Winter die drei Schotten geschlossen waren, da hierdurch eine große Eisfläche auf dem Mühlenkolk entstand.
1894 ließ sich die Familie des Weißgerber Schadinger vor ihrem Haus auf der Mühlenstraße „aufnehmen“. Links sitzend Urgroßvater Schadinger, der im Jahre 1817 in Cloppenburg geboren worden war. Rechts, ebenfalls sitzend, ist Großvater Schadinger zu sehen. Stehend, links die Ehefrau von Leopold. Rechts steht der Frisör und Kusentrecker (Dentist) Leopold Schadinger. Der kleine Junge in der Mitte ist der Sohn des Leopold, Gerhard Schadinger. An der Hauswand des Kaufmanns Jos. Seelhorst, ist Engelbert Seelhorst zu sehen. Das zweite Haus von links war Eigentum des Leopold Schadinger. Leopold war zu seiner Zeit ein richtiges Original und für jeden Blödsinn zu haben. Dabei kam er auf die seltensten Einfälle. So ließ der Figaro dem Sohn des Bürgermeisters einen Büschel Haare auf dem Kopf stehen, mit den Worten: „ Nu gaoh man nao Hus!“ Hatte Leopold Differenzen mit einem Kunden, so „seifte“ er ihn zwar ein, forderte ihn dann aber auf, sein Lokal unrasiert zu verlassen. Um die Jahrhundertwende zog Leopold Schadinger mit seiner Familie nach Amerika.
Das Wirtshaus „Zum weißen Schwan“ bestand schon 1560 als „Burgkneipe“, wurde aber nach ihrem Verkauf im Jahre 2006 leider abgerissen. Früher lag sie genau gegenüber dem Weg zur Burg, der damals zwischen den heutigen Häuserzeilen hindurch führte. Von dieser ältesten Gaststätte aus fuhr bis zum Jahre 1906 die Postkutsche nach Friesoythe und auch nach Molbergen. Neuigkeiten, die in der Welt passierten, holte man sich früher hier aus der Gastwirtschaft Drees „Zum weißen Schwan“. Es trafen sich hier auch die damaligen hanseatischen Pferde-Post-Männer. Der Bremer Posthalter, dessen Pferde den Postkutschwagen über Cloppenburg nach Zwolle (Holland) zogen, wechselte seine ermüdeten Tiere unter anderem in dieser Gastwirtschaft aus. Bis zur Motorisierung stand in den Stallungen „Zum weißen Schwan“ auch das Postpferd, welches die Sendungen vom Postamt an der Mühlenstraße viermal täglich zum Bahnhof brachte und von dort abholte.

In der Mühlenstraße wurde bis zu Beginn des ersten Weltkrieges im Jahre 1914 der Schweinemarkt abgehalten. Die Landwirte fuhren mit ihren Ackerwagen dorthin, um die Ferkel und auch die fetten Schweine möglichst günstig an den Mann zu bringen. Hierbei wurden die Wagen so nahe aufeinander geschoben, daß die Deichsel des hinteren Wagens unter dem des vorstehenden lag. Die aufgefahrene Wagenschlange begann beim Hotel Eckmeyer und endete an der Abzweigung zur Osterstraße. Auf der Osterstraße (vormals auch Kuhstrasse genannt) fand der Rindviehmarkt statt.
Im Bild die „Cloppenburger Amtssparkasse“, die am 24.05.1912 gegründet wurde und in dem Haus des Kaufmanns Leiber untergebracht war. Im Jahre 1933 wurde sie von der Oldenburgischen Landessparkasse übernommen. Im weiteren Verlauf links ist auch die Benzinzapfsäule des „Feinkostgeschäftes Joh. Stör“ zu sehen. Stör hatte den Benzinverkauf in Cloppenburg schon vor dem 1. Weltkrieg aufgenommen.
Seit 1902 gibt es auf der Mühlenstraße die Bäckerei und Konditorei „Anton Barlage“ mit Café-Stube. Die sonntäglichen Kirchgänger der Umgebung aus Varrelbusch, Bethen, Resthausen und umzu gaben hier ihre Taschen ab und nahmen sie nach dem Kirchenbesuch wieder in Empfang – nachdem man gemütlich zusammen Kaffee getrunken hatte. An Werktagen saß die Café-Stube häufig voll von Fahrschülern des Gymnasiums. Wie berichtet wird, gab es nirgends in der Umgebung eine bessere Mix-Milch serviert als bei Barlage auf der Mühlenstraße. Mit seiner Frau Hedwig eröffnete Anton Barlage 1953 eine Milchabteilung mit angeschlossener Milch-Trinkstube. „Eben mal zu Anton gehen“, so lautete unter den Jugendlichen von damals oft der Schnack. Ab 1954 fuhr Anton Barlage mit einem „Goliath“ Schulmilch zu den Schulen, und einmal die Woche kam jeweils eine Klasse der Wallschule und der evangelischen Schule zum kostenlosen Mix-Milch-Trinken. Auch das Warenangebot wurde stets erweitert, und Obst, Brot, Käse und Milchprodukte waren ständig frisch zu kaufen.
Die Heimatschriftstellerin Elisabeth Reinke (1882-1981) die aus dem Hause Leiber an der Ecke Mühlenstraße/Lange Straße stammte, berichtete dazu einmal: „Wenn wir zur Kindervesper zur Stadtkapelle gehen mussten, ging es die Mühlenstraße hinunter. Das war eine Gegend, in die wir eigentlich nie sonst kamen, weil sie zu gefährlich war. Gleich nach Willners Haus (Berssenbrügge) kam ja schon die breite Gräfte. Sie war am Ufer mit dicken Bäumen geschmückt bis zur Mühlenbrücke, wo der Mühlenteich begann. Das Wasser war ganz moorig finster, und wenn kleine Mädchen hinter den Bäumen herschlüpften, kam ein großer Wauwau aus dem Wasser und zog sie in die Tiefe. Gruselig war das. Gegenüber von diesem unheimlichen Ort war eine pechschwarze Höhle mit einem großen Feuer darin. Davor stand ein großer, schwarzer Mann mit einer harten Schürze vor und einem mächtigen Hammer. Mit dem Hammer schlug er meistens „pinke pank“ auf einen Bock, daß die Funken furchtbar spritzten. Das war Onkel Kollhoff, der den Kindern die Zähne auszog. Nur schnell, schnell vorbei! Erst hinter der Mühlenbrücke, am rauschenden Mühlenrad vorbei, waren die Mädchen von ihrer Not befreit …“ Die gruselige Angst vor dem schwarzen Mühlenkolk war nicht unbegründet. Aus einer Anzahl Familien, die am Mühlenkolk wohnten, sind früher Kinder in der Soeste ertrunken. Die Gräfte um den Besitz mit dem ehemaligen Rentmeister Haus – heute Stadthalle und Parkhotel – wurde 1912 mit Erde aufgefüllt und das Flussbett der Soeste wurde befestigt.


Links das Bankgebäude „Westf. Bankkommandite Ohm, Hernekamp & Co.“. Diese Bank faillierte 1926, mit der Folge, dass viele Kleinsparer ihr Geld verloren. 1927 übernahm die „Oldenburgische Spar- und Leihbank“ das Gebäude und seit 1936 ist es eine Filiale der „Oldenburgischen Landesbank“.
Links das Bankgebäude Westf. Bankkommandite Ohm, Hernekamp & Co. Ab1927 Oldenburgische Spar- und Leihbank und ab 1936 Oldenburgische Landesbank OLB. Es folgt das im Jahre 1902 erbaute Haus des Kupferschmiedemeisters Josef Baro (auch Waffen-Baro genannt, da er auch Jagdbedarfsartikel verkaufte). Hier ist im rechten Teil auch das Kaiser’s Kaffee Geschäft bis Anfang der 1950er Jahre untergebracht. Es folgt das Eckhaus des Amtstierarztes Dr. Alfred Wewer. Rechts steht die im Jahre 1880 erbaute Königs-Apotheke, die am 23. April 1799 von Josef König gegründet wurde. Sie ist heute noch im Familienbesitz und wird von den König-Nachfahren der Familie Peus – heute von Dorothee Peus- geleitet.
Kolonialwaren wurden auch im Kaiser’s Kaffee Geschäft in der Mühlenstraße und später in der Lange Straße verkauft. Als Kolonialwaren wurden früher, besonders zur Kolonialzeit, überseeische Lebens- und Genussmittel, wie zum Beispiel Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewürze und Tee bezeichnet. Ende der 1960er Jahre führte der Preiskampf im Lebensmittel-Einzelhandel bei der Unternehmensgruppe zu erheblichen Verlusten und Umstrukturierungen, woraufhin viele Filialen, unteranderem auch die Cloppenburger, geschlossen werden musste.



Döneken von der Mühlenstraße
Use Rotten sünd dat nich !
Um die Jahrhundertwende saßen die Anwohner der Mühlenstraße am Abend gerne auf den Ruhebänken oder Stühlen vor ihren Häusern, um sich über die Geschehnisse des Tages zu unterhalten. So geschah es, daß der dort wohnende Malermeister Feigel, seinen Nachbarn, dem Kaufmann und Pferdehändler Vorwolt, erzählte, daß er viele Ratten in seinem Hause hätte. Darauf der Kaufmann antwortete: „Wat seggst Du, Rotten – Rotten? Doar heb‘ ick nix mit tau doaun“. Der Maler sagte dann: „Kiek ais daor baoben, wat löpp doar ünner diene Pannen – sünd dat nich Rotten? Der Kaufmann: „Jao, Rotten sünd dat, aber miene sünd dat nich“!
Nach einer Erzählung von Bernhard Becker, Mühlenstraße